Schick mal eine Karte
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Schick mal eine Karte

Wie der Pazifist und Kartograph Arne Rohweder einen Stadtplan von Bagdad zeichnete, der einschlug wie eine Bombe

Text: Ben Knight; Zuarbeit: Martina Kix

Wenn du in die Hölle verbannt wärst, gäbe es einen besseren Begleiter als einen Schweizer? Die Kombination aus klarer Vernunft und Bergsteiger-Erfahrung wäre ideal angesichts des eher felsigen Terrains in der Hölle. Ich zumindest würde Arne Rohweder gerne mitnehmen. Sein kühler Kopf und seine freundliche Art würden die ewige Pein erträglicher machen, aber was wichtiger wäre: Er könnte auch eine Karte von der Unterwelt anfertigen. Er würde eine Toblerone und ein Taschenmesser mitbringen und aus meiner feurigen Höhle auf seinem Mountainbike losfahren. Und dann würde er eine detaillierte, Hieronymus-Bosch-ähnliche Landschaft kreieren, mit allen wichtigen Zeichen versehen. Wenn man mit unendlicher Qual konfrontiert ist, ist es schließlich wichtig, den Überblick zu haben.

Obwohl er sich bei dem Vergleich nicht wohlfühlt, hat Arne Rohweder mit seinen unabhängigen Verlag Gecko Maps den Ruf eines Kartographen für Krisengebiete erlangt. Er hat die erste Karte von Bagdad nach dem zweiten Irakkrieg erstellt und bringt nun in diesen schwierigen Zeiten die neueste Ausgaben seiner Karten von Tibet und Nepal heraus. Beides sind Länder, zu denen er einen persönlichen Bezug hat – für die tibetische Bewegung empfindet er auch eine politische Sympathie.

Ein Verdacht sollte gleich zu Beginn ausgeräumt werden: Rohweders Bagdad-Karte wurde nicht vom amerikanischen oder britischen Militär benutzt, um die Stadt zu bombardieren. Einige Reporter (u. a. vom Berliner Tagesspiegel und der Neuen Zürcher Zeitung) haben eben diesen Vorwurf suggeriert, als jemand herausfand, dass das britische Militär ein paar tausend Exemplare von Rohweders Irak-Karten einen Monat vor Beginn der Invasion gekauft hatte. Ohne großen Aufwand und mit ungezwungenem Pragmatismus wird dieser Verdacht auf der Gecko Maps Webseite entkräftet: “Wir haben noch nicht einmal ein Koordinatennetz in die Karte eingezeichnet,” steht da mit großen roten Buchstaben geschrieben, bevor Rohweder seine eigene Theorie vorschlägt: “Man stellt sich vor, wie oft Inspektoren und Truppen von ihren Geheimdiensten in die Wüste geschickt wurden um Giftgasfässer oder mobile Labors zu suchen. Nach der x-ten erfolglosen Suche vertrauen die Truppen dann den Informationen ihrer Nachrichtendienste auch nicht mehr, wenn es darum geht, wo es den besten Masguf oder die feinsten Süßigkeiten in der Stadt gibt.” Diese Aussage zeigt etwas von der Leidenschaft, die in Rohweders wissenschaftlichem Bemühen stets durchschimmert. Er ist Pazifist mit leicht satirischem Humor. Rohweder kann zwar über die bösen Bombadierungs-Gerüchte lachen – “nicht, dass Sie auch noch das schreiben!” –, doch er fühlte sich schon in seinen Prinzipien verletzt. Die Webseite deklariert: “Als Anhänger der Friedensbewegung liegt es mir fern, für irgendeine Armee zu arbeiten.” Seine politische Leidenschaft ist jedoch immer auch etwas abgemildert durch seinen Sinn für Klarheit und Ehrlichkeit:

“Die erste Bagdad-Karte war eigentlich eine unserer schlechtesten Karten, weil wir damals kaum an Unterlagen rangekommen sind. Die Iraker haben sicher irgendwann detaillierte Pläne gehabt, aber das ist halt zerbombt worden, und man weiß nicht, wie manche Stra?en heißen.” Und tatsächlich weisen viele Vororte in der neuesten Ausgabe einige namenlose Straßen auf. Wie eine Geisterstadt, könnte man sagen. Aber die Bagdad-Karte hat auch metaphorische Dimensionen. Kartographie ist nämlich fast eine Kunst: Wie bei anderen Stadtplänen werden bewohnte Gegenden in einer neutralen, hellen Hautfarbe dargestellt. Eine leichtere Hautfarbe bedeutet, dass die Gegend noch bebaut wird. Die Stadt wird also dunkler, je älter sie wird. Dementsprechend hat die Altstadt eine dunkelbraune Farbe. Helle purpurfarbene Felder bedeuten: “zerstört, geplündert, abgebrannt, ungenutzt oder provisorisch.” Die Farbe ist beinahe neutral, und doch erinnert das Purpur an eine Beule: Alles, was fremd ist oder die Stadt bedroht bzw. verletzt, ist purpurfarben. Die militärischen Komplexe sind purpurne Kästen, und winzige purpurne Bomben zeigen einen bombardierten Ort. Es gibt auch ein kleines rennendes, purpurfarbenes Männchen, mit einem Rucksack auf dem Rücken und einem Beutel in der Hand, das auf all das hinweist, was “geplündert und teilweise abgebrannt” wurde.

Weiß ist keine positive Farbe unter den Symbolen von Bagdad. Ein kleines schwarzes Moschee-Zeichen bedeutet einfach eine Moschee. Wenn die Moschee rot ist, ist sie “sehenswert”, aber wenn sie weiß ist, heißt es, dass der Bau gestoppt wurde. Wenn der kleine Umschlag weiß ist und nicht gelb, heißt es, dass die Post außer Betrieb ist. Und eine geschlossene Disco wird von einem winzigen Mann, der in einen weißen Kasten tanzt, symbolisiert. Eine offene Disco zeigt den gleichen Mann in einem Kasten voll warmen Gelb und Orange. Vermutlich ist dieses Symbol lediglich in der Legende dargestellt, um einen Unterschied zu markieren – auf der Karte selbst ist keine einzige offene Disco zu finden. Die Discos wurden alle dicht gemacht aus Rücksichtsname gegenüber religiösen Eiferer. Rohweder: “In einer Neuauflage würden wir das Symbol wahrscheinlich ganz rausnehmen, da eine Liberalisierung des Iraks unwahrscheinlich ist und eine Wiederaufnahme des Betriebes wohl kaum mehr stattfinden dürfte.”

Es gibt eine Menge weiterer bedeutungsvoller Details. Ein kleiner purpurfarbener Kreis im Westen der Stadt zeigt den Ort eines “Flugangriffs auf eine zivile Luftschutzanlage” in 1991, und ein riesiges Gelände direkt neben der “Green Zone” markiert die aufgegebene Baustelle der sogenannten Rahman-Moschee. Ein Foto davon in der Ecke der Karte zeigt einen massiven Kuppelbau umringt von Kränen, unterlegt mit einem Text, der die Geschichte auf Englisch erzählt: “Projected duration of construction 1998–2005: biggest mosque of Iraq (if and when completed).” Doch so traurig ist das nicht, dass der Bau nicht weiter geht, meint Rohweder. „Solche Moscheen waren stillose grössenwahnsinnige Image-Projekte zum Ruhme von Saddam Hussein, der sich wegen der zunehmend feindlichen Haltung der USA bei den Muslimen einschmeicheln wollte.“

Die Recherchen für diese Karte wurde fast ausschließlich von Martin Herzog durchgeführt, einem Forstingenieur, der 1981 eine irakische Frau geheiratet hat und bis 2004 jedes Jahr nach Bagdad reiste. Während einer seiner letzten Reisen verbrachte er zwei Monate damit, die Stadt zu inspizieren, Markierungen in seinem Laptop vorzunehmen und sie anschließend an Rohweder in die Schweiz zu mailen. “Der ist relativ unbehelligt rummarschiert,” sagt Rohweder. Herzog, der jetzt in Basel lebt, spricht ausreichend Arabisch und weiß auch genug über die irakische Milizen, um außer Gefahr zu bleiben. Er ist Rohweder nicht unähnlich: Er teilt seinen sanften ironischen Humor: “Das war damals eine ganz amüsante Geschichte. Als sie mich an den Checkpoints für die Green Zone kontrolliert haben, hab ich meine schweizerische Identitätskarte gezeigt, und die amerikanische Soldaten haben das immer für ein Ausweiß des roten Kreuzes gehalten. Irgendwann haben sie’s gemerkt” – ebenso wie Rohweders Anteilnahme am Schicksal der Länder, die er kartiert: “Damals hatten wir auch noch die ganzen Illusionen, dass es sich nach ein oder zwei Jahren wieder gibt, dass die ausländischen Investoren wieder nach Bagdad kommen – dass die Wirtschaftsstrukturen wieder da sein werden.”

Doch ist es nicht so ausgegangen. Herzog war seit 2004 nicht mehr in Bagdad, teils aus Angst vor Entführungen, teils aus Mangel an Arbeit für ihn. Die Bagdad-Karte, anfangs noch sehr erfolgreich, wird inzwischen kaum noch verkauft. “Keiner interessiert sich mehr für Bagdad. Kein Tourismus – niemand geht hin. Keine Wirtschaft. Die Hilfsorganisationen gehen auch alle weg.”

So hat Rohweder sich nun einer früheren Liebe zugewandt – der Himalaya-Region. Seine neue Tibet-Karte kommt zeitgleich mit den Olympischen Spielen und dem damit einhergehenden Aufsehen heraus. Sein Interesse an der Region rührt von einer Kinder-Patenschaft, einem zufälligen Besuch in Nepal, und schließlich auch der Ausbildung einer Reihe von nepalesischen Geographiestudenten zu Kartographen. Rohweder verzichtet nun auf den blühenden chinesischen Markt und verlässt sich stattdessen auf seine Kundschaft, die aus westliche Reisenden und Hilfsorganisationen besteht. Seine Karten zeigen tibetische Ortsnamen, “weil die Chinesen alles umbenennen, und da will ich ein bisschen dagegen halten.” Die Rückseiten sind bedeckt mit Anzeigen für tibetische Vereine. Immerhin trifft er die Vorsichtsmaßnahme, keine Tibetfahnen oder Bilder vom Dalai Lama abzudrucken, um so Reisenden Ärger zu ersparen. Auch sind chinesische Polizei-Kontrollpunkte eingetragen, damit Radfahrer wissen, wo sie die Straße verlassen sollten.

Verleiht dies alles dem Kartographen nicht auch eine gewisse Macht? Rohweder hat natürlich seine Bedenken angesichts solcher Worte. “Macht ist da übertrieben.” Aber er gibt schon zu, dass Kartographen bestimmte Dinge beeinflussen. So können sie manchmal Namen schlichtweg erfinden. “Einmal haben wir Tigerspuren gesehen, und da wusste der Führer genau, das ist der Tiger namens Lucky. Und weil der Hügel keinen Namen hatte, haben wir ihn auf unsere Karte Lucky’s Hill genannt – prompt haben das alle andere Karten übernommen.”

In Jorge Luis Borges’ Erzählung “Von der Strenge der Wissenschaft” wird davon erzählt, wie die Diktatoren eines fiktiven Reiches, vom Wahn der Genauigkeit getrieben, ihren Kartographen befehlen, eine Karte des Reichs anzufertigen, die so groß wie das Reich selbst ist – im Maßstab von 1:1. Ich habe gehofft, ich könnte post-strukturalistische Literatur-Theorie heranziehen, um Arne Rohweder zu beeindrucken. Ich wollte postmoderne Bemerkungen zur Kartographie machen. Ich wollte durch Zweideutigkeit die Prinzipien der Kartographie hinterfragen. Ich dachte, Borges’ Bild könnte Rohweder vielleicht umhauen. Sind wir nicht alle Bettler, die in den Falten einer nutzlosen Karte die Wüste bewohnen? Also habe ich Rohweder gefragt: Keine Karte ist wirklich “wahr,” oder? Keine Landkarte ist die wahre Darstellung eines Orts? Es gibt immer politische Motivationen. Und Landkarten werden auch immer von den persönlichen Erlebnissen des Kartographen geprägt. Nicht wahr? – Mit der ihm eigenen Gutmütigkeit antwortete Rohweder, dass so ein Kartograph bestimmt Freiberufler sein muss. “Der Großteil der Kartographen arbeitet in einem Amt oder für ein großes Verlagshaus, ohne jede Möglichkeit, persönliche Erlebnisse einbringen zu können. In erster Linie ist es die Arbeit des Kartographen, ein vereinfachtes, inhaltlich erläutertes Abbild der Erdoberfläche zu erstellen, also eigentlich neutral.” Und doch gibt er zu, dass sein Verlag den Luxus genießt, politisch unabhängig zu sein.


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